So, hat ein wenig gedauert. Ich habe die Zeit waehrend des Flugs von Evenes nach Oslo und die Wartezeit auf den Weiterflug genutzt. Sonst haette ich den Text vermutlich nie geschrieben.

Los geht’s

Wie verabredet, holt Geir mich mit seinem „fishcar“ ab. Ein Mitsubishi Kleintransporter, der seine besten Tage schon gesehen hat. Von Geir erfahre ich spaeter, dass er mal einen VW Bus hatte, mit dem es allerdings staendig Probleme gab. Seitdem schwoert er auf Mitsubishi.
Geir ist ein freundlicher Norweger, wie ich in diesem Land bislang eigentlich immer nur freundliche Menschen getroffen habe. Wir kommen schnell ins Gespraech. Da so ziemlich jeder Norweger Englisch spricht, ist das ueberhaupt kein Problem. Geir ist seit 2001 Fischer und hat ein eigenes Boot. Er liebt es sein eigener Chef zu sein und alles genau so zu machen, wie er es moechte. Warum es ihn immer wieder fasziniert, bei Wind und Wetter und nicht immer so komfortablen Temperaturen wie heute rauszufahren werde ich spaeter selbst erfahren. Das Thermometer zeigt minus 1 Grad.
Der Weg nach Digermulen, der kleinen Ortschaft direkt am Raftsund, zieht sich. Es sind rund 70 km, die Geir jeden Tag mit dem Auto zuruecklegen muss. Etwas mehr als eine Stunde dauert somit allein die Hinfahrt. Warum er das jeden Morgen macht, frage ich ihn. Ob es nicht sinnvoller waere, sein Boot direkt in Svolvær zu haben und von dort zu fahren. Das Problem ist, dass sein kleines Boot bei staerkerem Suedwestwind, und den gibt es hier vorwiegend, ein paar Kilometer vor Svolvær kaum gegen Wellen, Wind und Stroemung ankommen wuerde. Ausserdem wuerde die Fahrt von Svolvær nach Digermulen rund 2 Stunden dauern. Und warum er ausgerechnet dort fischen geht, das werde ich auch im Laufe des Tages noch erleben.
Als wir ueber die grosse Raftsundbruecke fahren und rechts in Richtung Digermulen abbiegen, wird die Strasse schmaler. Wir haben die E10, quasi die A40 der Lofoten, verlassen. Jetzt dauert es noch rund 20 Minuten, bis wir in Digermulen ankommen. Auf dem Weg zeigt mir Geir beilaeufig einen Seeadler, der direkt neben der Strasse auf einem Baum sitzt. „He’s sitting there every morning“. In Deutschland wuerde man einen „Eagles Visitor Center“ bauen. Vier weitere Seeadler werde ich heute noch sehen, allerdings nur fliegend auf dem Weg ueber den Fjord.
Als wir in Digermulen eintreffen, erzaehlt Geir mir, das Kaiser Wilhelm mehrfach hier gewesen sei und einen bestimmten Berg bestiegen habe. Der Mini-Markt am Bootsanleger traegt wohl daher seinen Namen. Geirs Boot ist das einzige an diesem Steg und es ist wirklich nicht besonders gross. Er fuellt noch kurz etwas Benzin aus dem Kanister nach und wirft den 54 PS Motor an. „I don’t need Speed“, sagt Geir. Dafuer kann er mit einem Kanister Benzin 2 bis 3 Tage fahren. Ein echtes Argument, wenn man all seinen Treibstoff in Kanistern transportieren muss. Eine Boots-Tankstelle habe ich nicht gesehen.
  
Ich hieve meine Kameratasche an Bord und begebe mich auf das fuer mich ungewohnte Terrain. Meine groesste Befuerchtung, dass ich den ganzen Tag von grossen Wellen durchgeschaukelt werde, erweist sich als unbegruendet. Der Fjord, in dem wir heute fischen werden, ist nahezu frei von Wellen. Auf das Gefuehl, von einem Wellenberg ins naechste Tal zu rauschen kann ich naemlich mit Rueckblick auf unsere Walsafari 1997 gern verzichten. Und die extra am Duesseldorfer Flughafen gekauften Tabletten bleiben unangetastet in der Jackentasche.
So kann ich mich heute ganz auf das eigentliche Thema konzentrieren. Ich will wissen, wie fischen hier oben funktioniert. Geir hat insgesamt 4 Netze, das hatte er mir waehrend Autofahrt schon erklaert. Aber erst jetzt verstehe ich es richtig. Die Netze hat Geir am Vortag gesetzt und heute holen wir sie wieder ein. Da morgen Samstag ist und Geit private Termine hat, wird er am naechsten Tag nicht fischen gehen, weswegen wir heute die Neze nur einholen und nicht wieder auslegen. Auch das hat einen ganz bestimmten Grund, der sich mir erst spaeter erschliessen wird.
Das erste Netz ist ein sehr grobes, in dem nur grosse Fische haengen bleiben koennen. Genaugenommen hat Geir es auf Hailbutt abgesehen. Aber das darf er nicht so laut sagen und ich solle es bitte auch nicht fotografieren. Das fischen von Hailbutt ist zu dieser Jahrszeit naemlich nur mit einer Langleine und nicht mit dem Netz erlaubt. Aber mein Skipper scheint einen guten Draht zu den Mitarbeitern der Fischfabrik zu interhalten, bei denen er den Fisch spaeter abliefern wird. Jeder Fischer hat eine zugeteilte Fangquote, die fuer Geir aber kein Problem darstellt. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann bezieht sich das nur auf bestimmte Fischsorten zu bestimmten Zeiten.
Das erste Netz ist ein sogenanntes 10er Netz und besteht aus 10 Teillaengen von jeweils 35 Metern. Es liegt in einer Tiefe zwischen 40 und 80m. Der Fjord hat Stellen, andenen es bis zu 250 m tief hinuntergeht. Zielsicher ansteuern kann Geir seine Netze naturlich ueber GPS. Dazu hat er auf seinem Smartphone eine App, mit der er alle meglichen Positionen fuer Netze markiert hat. Vor nicht allzulanger Zeit haette man dazu vermutlich suendhaft teures Equipment benoetigt. Heute erledigt das ein Smartphone. Hatte ich uebrigens schon erwaehnt, dass ich nicht eine Stelle auf den Lofoten gefunden habe, an der ich keinen Handyempfang hatte? Selbst in den hintersten Winkeln surft man wenigsten mit EDGE Geschwindigkeit mobil, wenn nicht schneller.
Das Netz ist zunaechst voellig leer. Nicht ein einziger Fisch. Geir wirkt voellig entspannt. Hailbutt faengt man nicht jeden Tag, manchmal nicht einen in der Woche. Ploetzlich stoppt er die Winde. Mit der das Netz eingeholt wird. „There is something big.“ Und tatsaechlich, wenig spaeter hievt Geir einen beachtlichen Hailbutt in sein Boot. Sein Gesicht zeigt ein breites Laecheln. 60 Kilo schaetzt er wird dieser Fisch auf die Waage bringen. Geschaetzer Wert fuer ihn in etwa 2500 Kronen. Das sind rund 320 Euro. Langsam verstehe ich, warum fischen Spass machen kann und warum man Hailbutt nicht jeden Tag faengt. Der Rest des Netzes bleibt leer, was offenbar nach dem Fang voellig in Ordnung ist. Das Netz wird neu sortiert und direkt an derselben Stelle wieder ausgesetzt.
Inzwischen ist es etwa halb elf und komplett hell. Der Tag scheint sich auch wettermaessig von seiner besten Seite praesentieren zu wollen. Vielleicht sehen wir heute die Sonne. Das waere ja was! Aber selbst ohne direkte Sonne ist das Bergpanorama ueberwaeltigend schoen. Auf den Gipfeln ist die Sonne schon angekommen,unten bei uns laesst sie noch auf sich warten.
  
Wir steuern das naechste Netz an. Wie die uebrigen Netze ein ganz „normales“ feinmaschiges Netz fuer Sei. Was genau das ist, muss ich zuhause mal in Ruhe nachsehen. Es faengt gut an. Ein Fisch nach dem anderen zappelt im Netz, das kontinuierlich von der Winde eingeholt wird. Ab und an mal eine Krabbe. Ziemlich grosse Exemplare wie ich finde. Sie bringen es auf eine Groesse von gut und gerne 2 geoeffneten, nebeneinander gehaltenen Handflaechen mit gespreizten Fingern. Bislang war ich davon ausgegangen, dass diese Krabben eine Delikatesse seien. Als Geir sie jedoch mit schwingendem Netz klatschend an der Bordwand zertruemmert, um sie ueberhaupt wieder aus dem Netz zu bekommen, lerne ich, dass das hier offensichtlich anders ist. Es gibt fuer die Krabben schlicht keine Abnehmer auf den Lofoten und nebenbei machen sie den Fischern das Leben schwer, indem sie sich in den Netzen verheddern und den Fisch in den Netzen auffressen. Und in der Tat kommen einige Fische aus dem Wasser, von denen allenfalls noch eine Graete ubrig ist. Binnen eines Tages fresen diese Krabben ganze Fische – unglaublich! Und diese Fische hier haben durchaus ein gewisses Format. Im Schnitt 3-5 kg bringen sie auf die Waage. Wer gerne Krabben isst, der sollte morgens einen Fischer bitten, einn paar mitzubringen. Frischer und billiger geht es vermutlich kaum.
Die erste Tonne fuellt sich schnell mit Fisch. Natuerlich werden die Fischer auf der Stelle durch einen beherzten Schnitt getoetet. Also dieser Vorgng der Massentoetung bei entsprechendem Seegang duerfte unwohles Gefuehl in der Magengegend hervorrufen. Das nicht sonderlich angenehme Knacken der Krabbebpanzer, wenn sie durch die Rollen der Winde gequetscht werden ist dann nur noch eine nette Dreingabe.
Inzwischen hat es die Sonne ueber den Horizont geschafft. Um 12 Uhr steht sie ziemlich genau 2 Finger breit ueber dem Wasser. Waerme bringt das nicht, aber sieht schoen aus.
  
Im dritten Netz geht es aehnlich weiter wie zuvor. Recht viel Fisch wie ich finde und zunehmend mehr Krabben. Langsam merke ich, dass ich durch das zerschmettern der Krabben immer mehr Kleckse auf Muetze, Jacke und Hose habe. Ich wusse bisweilen nicht, das Krabben rot bluten und mag mir gar nicht vorstellen, wie meine Klamotten in den kommenden Tagen riechen werden. Es duerfte wohl eher unwahrscheinlich sein, den Geruch durch abwischen wieder weg zu bekommen. Ich werde Recht behalten mit dieser Annahme.
Geir bestaetigt, dass dies ein guter Tag wuerde. Mal sehen, was das letzte Netz bringt. Die Sonne verschwindet schon wieder hinter dem Horizont und langsam wird mir etwas kuehl, denn ich glaenze heute nicht gerade durch uebermaessige Bewegung. Es beginnt gut mit eine Fisch. Danach eine Krabbe und dann nur noch Krabben. Es ist unglaublich, aber es werden schier unendliche Mengen Krabben aus der Tiefe herauf befoerdert. Es ist mit 12 Laengen, also rund 400 Metern, das laengste Netz. Mir wird schnell klar: Das kann laenger dauern. Geir pult mit stoischer Gelassenheit eine Krabbe nach der anderen aus dem Netz oder zertruemmert sie mit schwingendem Netz an der Bordwand. Zwischendurch schaufelt er die Krabbenreste ueber Bord. Auch der Belag an Krabbenbmatsche auf meiner Kleidung nimmt stetig zu. Ich wuensche mir tasaechlich, das Netz waere von nun an leer. Ist zwar ungerecht meinem Fischer gegenueber, aber entspricht der Wahrheit. Mein Wunsch wird nicht erhoert. Inzwischen sind alle Tonnen an Bord voll und die Fische landen einfach so auf dem Deck. Es ist laengst dunkel und gegen 17:30 Uhr legen wir wieder an. Die letzen 2 Stunden waren lang. Immerhin weiss ich jetzt, warum Geir die Netze nicht laenger als einen Tag draussen lassen kann. Er haette ausschliesslich satt gefressene Krabben im Netz. Aber das erhebende Gefuehl, wenn ein Fisch nach dem anderen mit dem Netz nach oben befoerdert wird.

  
Jetzt geht es weitern mit dem Ausnehmen der Fische. Mir ist inzwischen ziemlich kalt mangels Bewegung. Die geschaetzten 600 kg Fisch mussen mit einem kleinen Wagen denSteg hinaufgezogen werden und in den mit Eis gefuellten Trog im Transporter gelegt werden. Sofort erklaere ich mich bereit, das zu uebernehmen. Ich lasse mirein paar Handschuhe geben und nehme auch in Kauf, dass ich nun geschaetzte 200 aufgeschlitzte, glitschige Fische von Hand in den Transporter befoerdere. Fuer mich Nicht-Fisch-Esser eine echte Erfahrung. So kann ich Geir doch noch zur Hand gehen und die Zeit bis zur Abfahrt verkuerzen. Kalt ist mir kein bischen mehr. Zum Abschluss heben wir gemeinsam den Hailbutt in den Karren und von dort in den Transporter.
Gut beladen treten wir die Heimfahrt an und um 20:15 geht ein fuer mich sehr ereignisreicher Tag zu Ende. Die Arbeit der Fischer hier auf den Lofoten habe ich heute zu wuerdigen gelernt. Das Schwanken des Schiffes bewahre ich mir bi ins Bett auf. Ebenso wie die Geraeusche der knackenden Krabben!